Öffnung der “Verbotenen Zone”

Die Isolationshäftlinge erfahren vom Gefangenenstreik

Der ehemalige Häftling André Baganz, der jahrelang in Isolation saß, erinnert sich an die erste Kontaktaufnahme mit den streikenden Häftlingen im Dezember 1989:

“Als ich am 10. November von der in der Nacht erfolgten Grenzöffnung erfuhr, war ich überglücklich. Besonders überrascht war ich aber nicht. Vielleicht war das ja auch meinem unerschütterlichen Optimismus zuzuschreiben. […] Anfang Dezember ging es dann endlich auch in Bautzen II los. Der Funke war übergesprungen. Als M. und S. eines Tages unser fertiges Arbeitsmaterial rausstellen wollten, wurde ihnen gesagt, dass das unnötig wäre, weil die Kommandos alle streiken würden. Als ich das kurze Gespräch von meiner Zelle aus hörte, machte ich vor Freude einen Luftsprung. Endlich! Ich hörte natürlich auch sofort mit Arbeiten auf. Nach kurzer Überlegung schlossen sich M. und S. an. Jetzt begann das Warten. Doch schon am nächsten Morgen war eine ungewohnte Stimme über die Lautsprecher zu hören: ‘Achtung, Achtung! Hier spricht der Gefangenenrat…’ Der Mann, der da sprach, wirkte unsicher, und es war deutlich zu hören, dass er zum ersten Mal in ein Mikrophon sprach. Er sprach viel zu laut, ja er schrie fast: ‘Bewahrt bitte Ruhe und Disziplin’, fuhr er fort, „unser vorrangiges Ziel ist es jetzt erstmal, die Isolationsbereiche aufzumachen. Der Gefangenenrat steht in Verhandlungen mit der Anstaltsleitung. Um eine Eskalation der gespannten Lage zu verhindern, haben wir eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Gefangenen und SV-Angehörigen vereinbart. Wir werden euch stündlich über den Stand der Gespräche, die wir mit der Anstaltsleitung führen, unterrichten.’ Nachdem der Sprecher aufgehört hatte, war noch etwas Hintergrundgemurmel zu hören. Dann knackte es und es war Ruhe. Diese Durchsage erhöhte unsere Stimmung enorm. Bisher hatten wir nichts Genaues gewusst. Aber von nun an sollten wir stündlich informiert werden. Das war toll. Am nächsten Tag tat sich zunächst noch nichts. Unser Bereich blieb nach wie vor verschlossen. Am Nachmittag passierte dann endlich etwas. Zwei Mitglieder des Gefangenenrates kamen zu uns… Nachdem wir uns herzlich begrüßt hatten, teilten uns beide mit, dass der Gefangenenrat zähe Verhandlungen insbesondere über die Öffnung der Isolierbereiche führte. […] Es war eine große Sache für mich, nach Jahren der Isolation wieder mal andere Gesichter zu sehen, mit anderen Menschen sprechen zu können…”

Quelle: André Baganz über die letzten Tage in Bautzen II, in: Müller-Kaller, Bernd (Hg.): Freiheit für die politischen Gefangenen der DDR. Rückblick auf den Herbst 1989 in der Sonderhaftanstalt der Stasi Bautzen II. Eine Dokumentation, Projekt des Landesverbandes der VOS-Sachsen 2014, S. 91-93.