Tabu Bautzen II gebrochen

Öffnung des Hauses für die Presse

Peter Naundorf, ehemaliger Häftling und Sprecher des Gefangenenrats, erinnert sich an die ersten Kontakte der Insassen von Bautzen II mit der Öffentlichkeit am 6. und 7. Dezember 1989:

“Am 6. Dezember geschah dann das bisher ganz und gar Undenkbare. Der Anstaltsleiter hatte unsere Forderung nach Öffnung des Gefängnisses nachgegeben. Zwei Pfarrer, Vertreter von Parteien und vom Neuen Forum sowie die Presse wurden ins Gefängnis gelassen und durften mit uns reden. Man muss sich das vorstellen: Bautzen II war in der DDR ein tabu. Uns Häftlinge gab es doch gar nicht, wir waren wie von der Geschichte verschluckt, und das, obwohl das Gefängnis mitten in der Stadt lag. […] Während dieser ersten Pressekonferenz ging es auch um die noch am selben Tag erlassene Teil-Amnestie der Modrow-Regierung, die wir in dieser Form ablehnten. Zum einen wäre der Großteil der Gefangenen nach diesen Bestimmungen weiterhin im Knast geblieben, zum anderen amnestierten sich die Verantwortlichen für die Verbrechen der DDR schon einmal vorab selbst. Wir teilten in einem offenen Brief an die Volkskammer der DDR unsere Ablehnung mit und traten in den Hungerstreik. Am nächsten Tag wurde die Pressekonferenz fortgesetzt. Man kann die Bedeutung dessen nicht erfassen, wenn man sich nicht immer wieder bewusst macht, dass Bautzen II ein Staatsgeheimnis war, geheime Verschlusssache, und nun liefen Journalisten durch die Gänge, filmten im Knast, interviewten uns Häftlinge. Erstmals wurde auch in den DDR-Medien über den Knast berichtet.”

Quelle: Nitsche, Sybille: Knast-Revolte. In Bautzen II, dem Gefängnis für politisch Inhaftierte, treten die Häftlinge in einen Hungerstreik und gründen einen Gefangenenrat, in: Links, Christop/ Nitsche, Sybille/ Taffelt, Antje (Hg.): Das wunderbare Jahr der Anarchie. Von der Kraft des zivilen Ungehorsam 1989/90, Berlin 2009, S. 84-90.